Donnerstag, 16. Februar 2017

Bohemian Rhapsody

Shabby Chic ist Kult. Auch glamourös und unkonventionell. Klar, es bedeutet auf Deutsch schäbig, aber das sind Kinkerlitzchen. Shabby Chic ist eine Lebenshaltung, die von der Boheme geprägt ist. Sie bedarf einer gewissen Weitsichtigkeit, welche die Schranken der Bürgerlichkeit überwindet. Eine Gesinnung, die mit der Konvention bricht, dass, wer etwas gelten will, eine Einrichtung braucht, die möglichst teuer ist und auf Labels aufbaut. So gesehen beim Steuerbeamten, der sein Haus mit De Sede Sofas, dem alten Bauernschrank von Oma und Edelvitrinen von Möbel Pfister vollstopft. Aber auch beim Juristen. Dort ist der Diwan dann von Le Corbusier, die auf hochglanz polierte Kommode von Louis XV und das Sideboard von USM Haller. Beide, der Steuerbeamte und der Jurist, wissen mit absoluter Sicherheit, dass ihre Möbel zeitlos sind und dass sich Altertümlichkeiten gut mit Modernitäten mischen lassen. Das sind zwei der grössten Mythen der Einrichtungsgeschichte. Ein Mythos ist weder greifbar und noch umsetzbar. Die daraus resultierenden laienhaften, aber gut gemeinten Interieurs uninspiriert bis eintönig. Der Bohemian Style macht diesem gleichgeschalteten, helvetischen Irrglauben einen Strich durch die Rechnung. Und zwar einen Pinselstrich. 
 
Bild: https://www.pinterest.com/pin/229120699764998450/

Der Bohemian Style ist die grosse Freiheit, meine Damen und Herren. Dabei ist Harmonie das oberste Ziel. Exzentrik die Essenz. Facettenreichtum steht im Mittelpunkt. In diesem Stil findet alles einen Platz, das dem Auge schmeichelt, es kitzelt oder zum Staunen bringt. Es spielt keine Rolle, wo es her kommt, welche Marke drauf steht oder welche Summe dafür ausgegeben wurde. Es muss einfach den gewünschten Look abrunden. Möbel und Accessoires, die abgeliebt, abgeplatz und abgewetzt sind zum Beispiel. Aber auch brandneue,  auf alt gemachte oder die von Eames. Hier gibt es keine Grenzen. Keine Tabus. Keine Trödelpolizei.

Bild: http://thomasapolis.com

Man kann lustvoll Madonnen sammeln ohne religiös zu sein. Einfach nur weil ihre Darstellung bezaubernd und ganz und gar feminin ist. Man kann ausgestopfte Vögel auf Sideboards drapieren ohne der Jägergilde anzugehören, weil so ein Taucherli farblich vielleicht gerade ins Bild passt. Man kann Orden aufgrund ihrer glamourösen Aura in Mengen an die Wände hängen ohne ein Militarist sein zu müssen. Es reicht, dass man sich an diesen Dingen freut – allein wegen des Aussehens, der Textur, der Kuriosität oder dem Gefühl, dass sie transportieren. Fabelhaft, nicht wahr?

Bild: http://shannonfricke.blogspot.com

Es darf mit allem gearbeitet werden, was einem zusagt. Was nicht gefällt, wird gefallend gemacht. Dabei steht keinesfalls der Werterhalt im Vordergrund, sondern der Erhalt der Moral im ästhetischen Sinn. Grässlichkeiten (auch teure) werden zu Schönheiten. Und zwar mit Gewalt, wenn es sein muss. Tollkühn werden alte und neue Möbel umgestrichen, Lampenschirme ausgetauscht, Bilder-rahmen entgoldet oder Gemälde übermalt. Hirschgeweihe,  Suppenschüsseln, Puppenköpfe, Heiligenbilder, antike Abendtaschen werden zu fantastischen Deko-Objekten. Verschlissene Tapeten werden zum perfekten Hintergrund für eine goldbeschlagene, anmutige Antiquität. Es ist gerade die Unvollkommenheit mancher Einrichtungsgegenstände, die zur Vollkommenheit des Gesamtbildes beiträgt. Das Auge bewegt sich im Raum mühelos und findet immer wieder die Musse, inne zu halten, um ein Stück zu bewundern oder es zu belächeln. Der Stil des Shabby Chic ist unaufgeregt und doch aufregend, weil er weder prätentiös noch arrogant ist. Vor allem ist er voller Humor und köstlicher Lebenslust. Sowas sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen!


Bild: http://www.pandashouse.com

Bild: http://interioric.com/purple-room-teens/

Bild: http://villaanna.blogspot.ch/2008/11

Bild: http://thatbohemiangirl.tumblr.com/page/17

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